Briefe des Monats 2016-17 (archivierte Beiträge)
12/17 Nachrichtendienst im Jahre 1799
Es ist umstritten, in welchem Jahr genau Friedrich Karl zu Schwarzenberg das Licht der Welt erblickte. Laut diesem Briefchen muss es 1799 gewesen sein. Zu jenem Zeitpunkt müssten einige dieser Schreiben in all‘ die Dörfer Vorderösterreichs versendet worden sein, schließlich zog sich das damalige Herrschaftsgebiet bis ins Elsass hinauf. In Thiengen am 4.11.1799 verfasst, sollte es dazu dienen, den Talvogt und die Vorgesetzten der Dörfer um Küssaberg die erfreuliche Geburt des Fürstensohnes zu übermitteln, mit der Bitte um Weiterleitung an die Untertanen. Man kann sich vorstellen, wie lange es dauerte, bis solch‘ Neuigkeiten auch den letzten Winkel erreicht hatten.
Der Abdruck des rückseitigen Briefsiegels ist ein weiteres Indiz für die Echtheit, spiegelt es doch in nahezu identischer Form das Wappen der Fürsten zu Schwarzenberg wider. Zuzüglich dem Wasserzeichen I.H.D. des Papierherstellers im Büttenpapier kann man die Echtheit nicht mehr anzweifeln.
Transkription: Befehl an Thalvogt und Vorgesetzte zu Rheinheim/ Dangstetten/ Bechtersbohl/ Küßnach/ Reckingen und Günzgen
Liebe Vögte und Vorgesetzte! Unseres gnädigst regierenden Herrn Hochfürstliche Durchleucht haben anher die erfreüliche Nachricht mitgetheilt, daß die Frau Gemahlin Höchst Dero Herrn Bruders, des P.P. Generals Fürsten Karl, mit einem Sohne glücklich entbunden worden seÿe, welcher in der heiligen Taufe die Nahmen Friederich, Karl erhalten habe. Dieß habt Ihr Eurer Gemeinde kund zu machen. Ex. Cons.: Thiengen den 4ten November 1799
Hochfürstlich-Schwarzenberg. Regierungs- und Kammerkanzleÿ allda, i. A. Brandt
11/17 die Meister vergangener Tage
Hinein in die Frühe Neuzeit, folgend einem Faszikel 4 Ms. chem. 33/1 aus der Murhard’schen Bibliothek in Kassel, die eine unglaubliche Anzahl an chemischen Schriften aufbewahrt. Neben Abschriften vom wohlbekannten Paracelsus lassen sich allerlei alchemistische Schriften aus dem hessischen und überregionalen Raum finden. Die wesentlichen Elemente, Alkohol und verschiedene Metalle waren schon entdeckt. Es brodelte in den Öfen der frühen Chemiker. Unter den Augen der Römisch-Katholischen Kirche musste man allerdings sehr achtsam sein. Um 1550 verfasste ein unbekannter Autor folgende Zeilen in ostmitteldeutscher Schreibsprache mit einzelnen mittelfränkischen Elementen. Allgemein spricht man bei dieser Handschrift von der humanistischen Kursive. Der Text spiegelt ein Traktat des Alchimisten Bernhardus Trevisanus wider, dessen genauen Lebensdaten noch unbekannt sind. Eine sehr interessante Person, auf die ich zu einem späteren Zeitpunkt zurückkommen werde. Hermes Trismegistos galt bei den Alchimisten als Begründer ihrer Wissenschaft. Die Entdeckungslegende der Tabula Smaragdina mischte sich in diesem Fall mit Geschichten aus der Bibel.
Transkription (Satzzeichen hinzugefügt): Das erste Theil dises Buchs von den ersten Erfindern diser werdigen Kunst und die erfahren habenn
Der erst Erfinder dieser Kunst wie man list im Buch der Geschicht der Memorien oder Gedechtnisse und in den alten Geschichten und im keyserlichen Buch und in der Exposition Elementis uff die Bibel und in anderen Bücheren ist gewest Hermes der Dreifeltigk, den ehr wiste die drifeltige Philosophie zu wissen, natürlich, mynerisch, beweglich und viehisch. Und dweil ehr ist gewesen eyn Erfinder dieser Kunst nennen wyr Ihnen Vatter, also wie in allen Bücheren der Turba Hermes für dem Pithagoras sprechent sein. Dan welcher nach Ihme diese Kunst hat, wirdt genant sein Son und diser ist der Hermes, der dahe geschrieben stehet in der Bibel, das ehr nach dem Sintfluß sey gangen in den Tal Ebron, dahe ehr gefunden hab 7 Taffeln von marmorn. Und in jederer dieser 7 Taffeln was eingetrugckt Anfangk eyner der 7 freyen Künsten, welche dan geschrieben waren vor dem Sindtfluss von den Weisen, die do zer Zeit warenn, do sie wisten, das der Sindtfluß komen solte über alles Erderich und alles vergahen solt. Dahemit aber die Kunst nicht vergienge, gruben sie die in diese Marmelsteyn. Diser Hermes allein hat die Taffeln funden, welche da seyn das Fundament der gantzen Kunst. Und ist dieser Hermes gewest, ehe dan Goth gab die Taffelen Moisi. Also magstu mercke, das diese Kunst ist gewest ehe dan Asoises gehabt hat den alten Gelaubenn. Aber eß sein vil Leut gewesen, die sie gehabt han. Und spricht Arros in seynem Buch, welchs ehr schreibt dem Konnige von Neffinge, das in der Zeit der Regerungh des alten Glaubens im Wilteniß bey dem Bergk Synay diese Kunst sey gegeben und geoffenbaret worden, etzlichen Kindern von Israhel zu zieren und folmachen das Wergck des Tempels und die Archa des alten Testametz, wie solches antzeiget Ezechiel der Prophet item Daniel und im Buch Josue. Desgelichen ist dis Wergck etlichen von Got gegeben wie ich gesagt habe. Die andere habens gefunden durch Natur sunder eyniche Offenbarunge noch Buch noch Erfahrenheit als die Phitonissa Rebecca, Salomon Ambagadazar und Philips von Macedonien. Aber wie mans magk finden, Hermes nach dem Sindtfluß ist der erste Erfinder und Probierer dieser philosophalischer Kunst gewest und hat die angetzeigte Taffellen Hermetis funden im Tale Hebron, dahe Adam hingeweiset, do ehr auß dem erdischen Paradis gestalt wart. Und nach dem Hermes ist sie komen an fil andere sunder Ende. Und der Hermes machet eyn Buch, das dahe saget also.
Warhafftigh sunder Lügen ist gantz sicher warhafftigh, das das Oberst ist geleich als das Underst, das undenn ist geleich dem so oben ist, dahemit zuerlangen Miraculen und Wunderzeichen eyns eynigen Dings. Und also die Dinge seindt beschaffen von eynem eynigen durch denn Wyllen und Gebot eyns eynigen (zuwissen Got). Also gebieren und erspriessen alle Dinge von dem Dinge, das dahe vereinigt die wirdigste Theil durch eyn Weg und Disposition. + Die Sonne ist sein Vatter + und der Mon ist seyn Mutter, der Wyndt hat In getragen in seynem Bauch, sein Amme ist die Erde. Dis ist der Vatter von aller Perfection diser Welt. Seyn Macht ist vollenkhomen wan die wirt verwandelt in Erden. Und du solt scheiden das Erdtrich vom Feuer und das Subtil von dem dicken Leiblichen, durch ein grosse Subtilheit mags steigen vom Erdtreich in Hymel und hin widerumb vom Hymel zur Erden und wird er annehmen die oberste und underste Macht. Also wirdestu haben die Erde und Clarheit der gantzenn Welt. Derhalben weiche von dir alle Finsternis. Dis ist von aller Stercke die starcke Starckheit, dan es überwyndet alle subtile Dinge und durchdringet alle eynzellige Dingen. Und also als die Welt ist beschaffen also von diesem thut man Wunder. Derhalben ist ehr der Spiegell und Exempel und byn darumb getant Hermes habende die drei Theil der Weisheit der ganzen Welt. Es ist erfult alles das wir gesacht haben von dem Werck der Sonnen …
10/17 „Glauben wollen“ …
soll die Überschrift dieses Briefes sein, den Lothar Südekum, Sohn des SPD-Politikers Albert Südekum, im Jahr der Machtergreifung 1933 kurz vor seiner Emigration nach Amerika von einem engen Freund erhalten hatte. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits von sämtlichen Posten enthoben. „Gleichschaltung“, mitunter unterstützt und vorangetrieben von führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur, man denke z. B. an das Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler am 11. November 1933.
Verfasst in der typischen Sütterlinschrift, die ab 1935 in leicht abgewandelter Form als Deutsche Volksschrift Teil des offiziellen Lehrplans wurde:
Transkription: Mein lieber, lieber Lothar, es ist gut, daß ich Abend für Abend alleine sitze, um mit mir selbst einmal ins Reine zu kommen. Den Sinn des Lebens zu erfassen, um dem inneren Drang nach lebensbejahender Arbeit bewußt Ziel und Weg zu geben und endlich einmal darüber innerlich ruhig und ausgefüllt zu werden, das wird uns bitter schwer gemacht, Dir wie mir und all den anderen Ungezählten, die den Weg zu diesem „menschenwürdigen“, nach menschlichen Vorstellungen sinnvollen Dasein suchen. Und es ist nicht gut, wenn ich allabendlich meinem Sinnen überlassen bin, weil Wollen und Erreichtes so wenig in Einklang zu bringen sind, obschon das Gleichgewicht von Seele, Herz und Leib danach schreit.
Das ist es auch, warum ich mich an die Ideen und befreienden Taten des neuen Staates klammere, ohne zu fragen, welche Folgen es haben wird, wenn in innen-, außen-, wirtschafts- und kulturpolitischer Hinsicht Dinge geschehen, deren Tragweite ich doch nicht übersehen kann. Ich fühle nur, daß die Menschen, die dort schaffen, aufbegehren und sprengen, das auch aus einer inneren Not, aus der gleichen inneren Not heraus tun, und hoffe und will glauben, daß dieses Gestaltenwollen zur befreienden Arbeit wird.
Wenn du sagst, das Volk hätte es auch ohne das, oder gerade ohne den Umsturz geschafft, ja doch, mein lieber Junge, vielleicht hätte sich der deutsche Kern der Schlacken entledigt in langsamem Aufbau, wenn diese Gesundung nicht gewaltsam von den Millionen der „Internationalen“ ins Gegenteil verkehrt worden wäre, du weißt aus Erfahrung, daß Ungeist (gleich welcher Richtung und Partei) eine satanische Lust am Zerschlagen hat, und den größten Teil aller dieser Elemente dürfte der Kommunismus und die linke Sozialdemokratie unter ihrer Fahne gehabt haben. Wollte sich das alte Regime erfolgreich dagegen verteidigen, hätte es den deutschen Bürger sich zur Wehr erziehen müssen, und das ist nicht geschehen. Das gewaltsame Vorgehen der neuen Führer, das „Gleichschalten“ und Rühren der Werbetrommel muß sein, um den Durchschnittsdeutschen zu zwingen, im Wohlergehen seines Mitmenschen die Vorbedingung für das eigne Bestehen zu sehen. Der deutsche Mensch läßt sich damit nicht neu schaffen, der wird damit auch nicht gewandelt, denn der ist ein konservatives Sein aus jahrhundert- und jahrtausendlanger Entwicklung.
Und wenn tausendmal das, was geschieht in deutschen Landen, falsch ist, so wäre auch das alte falsch gewesen und hätte zum gleichen Bruch geführt, denn langsam aber stetig werden die Kräfte in Verantwortung und Arbeit eingespannt, die auch vorher als echt deutsch in Fühlen und Schaffen galten. Letzten Endes ist es die Leistung des deutschen Arbeiters im umfassendsten Sinn, die allein den Erfolg gewährleisten kann. Ich will wenigstens meinerseits nicht zurückstehen, meinen Teil beizutragen, wie ich es auch vorher getan hätte.
Jetzt ist die Arbeit ja das einzige, das meine Gedanken zur Ruhe sammeln kann. Außer meinen Eltern habe ich nur noch dich, auf den ich felsenfest baue. Wenn ich auch noch gute Kameraden habe, die meiner Freundschaft bessere Treue hielten und halten, als das einzige Mädel, das ich jemals wirklich lieb gehabt habe, in dir möchte ich den Freund sehen, dem ich im Herzen verbunden bin. Glaub an mich und nimm die herzlichsten Segenswünsche für Deinen Lebensweg von Deinem Sprott. Sag deinem Vater bitte für die übersandten Aufsätze herzlichen Dank; ich werde sie Ende Monat zurücksenden.
09/17 mit Brief und Siegel …
umso weniger Text vorhanden ist, desto schwieriger kann die richtige Interpretation der Schrift sein. Geht es lediglich um die Ermittlung von Absender und Adressat, dann geben vorhandene Siegel und deren Symbolik zusätzliche Informationen preis. Folgendes Beispiel zeigt einen Umschlag aus dem Jahre 1813, vorderseitig mit einem einzeiligen Rayonstempel Ebingen abgeschlagen:
die Transkription dieser Deutschen Kurrentschrift ist lediglich deswegen ein wenig schwieriger, da der Verfasser kaum Unterschiede macht zwischen den Buchstaben a, e, n, und r. Das u lässt sich durch einen oberen Bogen immer gut erkennen. So lautet der Empfänger: Se. Wohlgeborenen Dem Herrn Rentmeister Leute zu Erbach in Schwaben bey Ulm. Im Inneren des Kuverts steht der Aufgabeort und Datum: Werenwag den 21ten März, 1813.
Das rückseitige Siegel hilft bei der weiteren Bestimmung. Auf wikipedia lassen sich Informationen zu den Freiherren von Ulm zu Erbach finden, die zu jener Zeit Besitzer des Schlosses Werenwag waren. Doch im Gegensatz zur Rangkrone eines Freiherren bildet das Siegel eine moderne Grafenkrone ab, die neun mit Perlen besetzte Zacken zeigt. Mit dem Zugriff auf Datenbanken öffentlicher Archive lassen sich genauere Informationen zu Adam Ignaz Freiherr von Ulm zu Erbach finden, welcher per Diplom aus Wien den Reichsgrafenstand erhielt, der allerdings im Jahre 1814 wieder erlosch. Somit lässt sich der Absender auch ohne genannten Vornamen relativ sicher ermitteln. Das Siegel zeigt auf der linken Seite das Wappen der Freiherren Ulm zu Erbach, auf der rechten ggf. das Wappen „von Rheinau“ großmütterlicherseits. Unter einem Rentamt verstand man eine Behörde zur Verwaltung der grundherrschaftlichen Einnahmen.
08/17 codierte Schrift, Spiez (Schweiz) 1914
nur in Kürze möchte ich heute ein Beispiel zu einer codierten Schrift vorstellen, die man, wenn man nicht den Schlüssel dafür hat, nur schwer transkribieren kann. Ist die Codierung jedoch einfach aufgebaut und die Anzahl der gewählten Schriftzeichen ähnlich der Anzahl der Buchstaben des lateinischen Alphabets, dann ist die Chance relativ hoch, die Schrift zu dechiffrieren. Der zeitliche Aufwand ist so lange hoch, bis man den Schlüssel ausgearbeitet hat. Jedes weitere Schriftstück ist im Endeffekt zügig transkribiert. In diesem Fall handelt es sich um eine Postkarte einer jungen Fotografin, die Ihrer Freundin einen Reisebericht zukommen ließ. Einer der Vorteile solcher selbst entworfenen Kurzschriften lag auch darin, dass man mehr Information auf die räumlich begrenzten Karten brachte:
Transkription: Spiez. 30. Mai 1914 / Wir sind eben von unserm ersten Tourchen [kleine Tour] zurück, das heißt dem ersten, zu dem wir etwas anderes als unsere Beine benutzt haben. Heute hat nämlich zum ersten mal kräftig die Sonnen geschienen und einige Schneeberge haben sich endlich auch gezeigt. Aber so ganz bombensicher sieht das Wetter doch noch nicht aus, leider. Wir waren mit dem Schiff in Gunten, gingen von da zu Fuß am See entlang nach Merligen und Beatushöhlen, von wo wir mit dem Schiff hierhin zurückfuhren. 2 Bekannte haben wir heute Nachmittag gesehen, eine Stettinerin und eine aus Noordwijk.
Hammer [Nachname] kam Dienstag Abend, Georg ist Mittwoch Nachmittag abgereist. Mein Pflanzenbestimmungsbuch macht mir viel Spaß. ich bin immer strahlend, wenn ich glücklich etwas richtig herausgekriegt habe. Immer gerät es mir noch nicht, aber es geht doch schon besser als im Anfang. Hoffentlich bleibt es nun wärmer, bis jetzt mußte geheizt werden. Abends zeigt uns ein alter Schotte immer Kartenkunststücke, manchmal sehr verblüffende, aber gestern Abend ein so schwieriges, daß wir es nicht nachmachen konnten. Er ist nämlich Mathematiker und versuchte es mir durch mathematische Berechnung zu erklären. Sehr schade, daß du nicht da warst, du wärst doch bei deinem rechnerischen Genie eine viel gelehrigere Schülerin gewesen. Heute Morgen waren wir ohne Hammer, der schreiben wollte, in Einigen, wo eine entzückende alte Kirche ist, leider war sie kaum photografisch erreichbar, ich mußte eine Leiter an einen Birnbaum lehnen, und hinaufklettern, um die Aufnahme zu machen. Du siehst, ich habe von Herrn Grohs gelernt. Nachher habe ich auch noch ein bisschen gezeichnet, von Martchen [Kosename] beschirmt, aber die Zeit war zu knapp und der Sitz zu unglücklich, ich glaube nicht, daß ich es fertigmachen werde. Denk dir, neulich kamen per Post die Visitenkarten von Pitcairns [Fotograf Pitcairn], Frieda Wischnath (!), von Rennes für 20 Pfennig nachgeschickt. Ich erleide große Verluste auf dieser Reise. Dein in Olten zerbrochenes Kneiferglas habe ich hier machen lassen. Dafür nahm der biedere Schweizer 2 frcs. Ich gab ihm ausversehen ein Fünfmarkstück und als ich heute hinging und es ihm sagte, behauptete er, es wären 5 frcs. gewesen. Ich besaß aber gar kein 5 frcs.-Stück, dagegen ist mein Fünfmarkstück verschwunden, die Sache ist also klipp und klar, aber hin ist hin. Tausend Dank für deine Karte und viel Liebes von Deiner…
07/17 Ludwig Hefele 1946
Mitte des Jahres ein Brief geschrieben kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges im Januar 1946. Für jedermann hieß es, sich neu zu orientieren, oft mit wenig bis gar nichts in den Händen. Ludwig Hefele, einst Vorgesetzter von Josef Kimmig im Wirtschaftsamt Lohr (Main), trat mit folgender Bitte an diesen heran. Hinzugefügt sei, dass Josef Kimmig, der unter Walter Eucken sein Diplom in Freiburg absolvierte, aufgrund seiner „Parteilosigkeit“ nach eigenen Worten beruflich auf der Stelle trat. Die Entnazifizierungsverfahren trafen auf eine Vielzahl der Heimkehrer. Größtenteils weisen Dokumente aus dieser Zeit eine äußerst schlechte Qualität auf, was für die Transkription erschwerend sein kann. Papier war in den Nachkriegsjahren Mangelware.
Transkription: Hilpoltstein, den 27, Januar 1946 / Lieber Herr Kimmig! Endlich nach 2 ¼ jähriger Trennung ist es mir gegönnt wieder bei meinen Lieben zu sein. Wir alle haben uns heil und gesund angetroffen. Auch ich habe alle die Anstrengungen, Mühen und Entbehrungen, Gefahren, Hunger und Kälte gesund und gut überstanden. Am 16. des Monats traf ich hier ein, nachdem ich am 14. Von Bremen aus entlassen worden war. Ich bedarf nun erst dringend der Erholung. Diese ist hier doch viel eher möglich als in Würzburg, das nur noch eine Ruine ist. Würzburg ist eine mit der schwerstbetroffenen Städte. Meine Wohnung in Würzburg blieb wie durch ein Wunder verschont. Sie ist aber bewohnt von einer Professorenfamilie, die mit Zustimmung meiner Frau einzog. Ich will vorerst nach Würzburg nicht zurück, bis meine Entnazifizierung durchgeführt ist. Sie werden ja wissen, daß alle erwachsenen Personen in der amerikanischen Zone in einem Entnazifizierungsverfahren vor einer Spruchkammer nach schriftlicher oder auch mündlicher Verhandlung für ihre künftige Verwendung, ihr künftiges Leben beurteilt und klassifiziert werden. Die Bedeutung dieses Entscheids ist offenkundig. Auch für meine Zukunft ist der Ausgang dieses Verfahrens von größter Bedeutung. Sie wissen, daß ich seit Mai 1937 zwar äußerlich der Partei angehörte. Sie kennen aber andererseits auch meine wahre Einstellung, von unseren Unterhaltungen im engen Freundeskreis mit Dr. Schücking, Ihnen und zum Teil mit Al. Brenner. Ich habe zu Ihrer Erleichterung und um Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen einen Entwurf beigelegt. Sie werden die darin gemachten Ausführungen mit gutem Gewissen unterschreiben können. Ich glaube, daß meine Äußerungen und meine Kritik vielfach noch viel schärfer war. Ich darf nochmals wiederholen, daß mir gerade an ihrem Zeugnis sehr viel gelegen ist, da Sie weder der NSDAP, noch einer Gliederung und höchstens als zahlendes Mitglied einem angeschlossenen Verband angehörten. Lassen Sie, bitte, vom Bürgermeister die Echtheit Ihrer Person und Nichtmitgliedschaft zur NSDAP oder einer ihrer Gliederung und Ihre etwaige bloße Zahlmitgliedschaft zu einem NS-Verband auf dem beiliegenden oder einem von Ihnen selbst zusammengestellten Original bestätigen. Auf den Brief meiner Frau ist eine Antwort von Ihnen nicht eingegangen. Wie geht es Ihnen persönlich, Ihren werten Eltern, Geschwistern und Verwandten? Bestellen Sie, bitte, herzliche Grüße. Ich fühle Ihren Eltern den großen Schmerz über den Verlust von 3 Söhnen nach. Hoffentlich hat unser Herrgott Ihnen allen nicht ein noch größeres Kreuz auferlegt. Möge der Krieg, als er über Ihre schöne Heimat hinwegbrauste, Sie von größerem Unglück verschont haben. Diese meine Zeilen mögen Sie in Gesundheit, im Besitz Ihres schönen Anwesens antreffen. Ich darf Sie um einen ausführlichen Brief bitten, um Ihre Pläne für Ihre Zukunft und Ihnen schon jetzt von Herzen danken für den großen Gefallen, den Sie mir mit der Ausstellung dieses Briefes erweisen. Herzliche Grüße, auch von meiner Frau, Ihr Ludwig Hefele
06/17 Ehrismann 1926
Februar 1926: nach dem Abzug der Besatzungstruppen finden in Köln, Bonn und anderen Städten Deutschlands „Befreiungsfeiern“ statt, das Deutsche Reich beantragt die Aufnahme in den Völkerbund, auf einer Führertagung der NSDAP setzt sich Adolf Hitler gegen den linken Parteiflügel um Gregor Strasser durch, die Arbeitslosenzahlen erreichen mit 2,4 Millionen einen neuen Höchststand seit 1924, im Vormonat bildet Hans Luther ein neues Kabinett aus DDP, Zentrum und DVP. Dieser Deutschnationalen Volkspartei dürfte der Mediävist Karl Helm seinerzeit angehört haben. Sein Kollege Gustav Ehrismann berichtet in folgendem Kärtchen über Helm’s erhebende Rede in der Aula von Marburg. Apropos 1926, noch ein erwähnenswertes Ereignis findet statt: die erste Fernsehübertragung in England.
Transkription: Heidelberg, 27.2.1926 / Lieber Helm! Vielen herzlichen Dank für Deine Rede und Deine liebe Karte! Ein solches Wort an solchem Tage ist eine sittliche Tat. Ich kann sagen, selten habe ich Erhebenderes gelesen, selten ist in mir eine solche „Ehrfurcht“ erweckt worden. Das Schicksal unseres Volkes abgehoben vor solchem Hintergrunde, in kurzen Zügen von dem Anfang seiner Geschichte bis zur Gegenwart geführt, den ethischen Gang der deutschen Volksseele bloßgelegt in bewegter, jeder Stimmung angepasster Sprache: diese Rede sollte von der Reichsregierung in den deutschen Schulen verteilt werden! Und wie vornehm hast Du die politische Gesinnung behandelt! Eine solche Haltung sollte den Parteipolitikern täglich von einer maßgebenden Stelle zugerufen werden, unserm ganzen Volke aber der warme und kraftvolle Ausblick auf unsere Zukunft! Diese Rede soll weit über die Wände der Marburger Aula hinaus ins deutsche Land hallen! Nochmals herzlichsten Dank! Die guten Nachrichten über Deine Frau und die Ankunft eines 2. Enkelchens begrüßen wir mit warmer Freude! – Uns dürfte es besser gehen, Winter und allzu frühes Frühjahr schadeten uns. Herzliche Grüße von Maus zu Haus, Dein treuer E.
05/17 Leer (Ostfriesland) 1848
Ein typisches Beispiel der deutschen Kurrentschrift, wie sie vor rund 170 Jahren von einem ostfriesischen Händler aus Leer auf’s Blatt gebracht wurde. Auch hier lassen sich die geschichtlichen Hintergründe relativ gut herauslesen. Im Revolutionsjahr 1848 war Leer die erste ostfriesische Stadt, deren Einwohner eine politische Petition an den Hannoverschen König einreichten. In der Folge gab es in der Stadt bis 1849 Bürgerversammlungen, Bürgerwehr und Volksbewaffnung. Im Königreich Hannover, das von König Ernst August absolutistisch regiert wurde, wirkte Ostfriesland insgesamt unruhig.
Transkription: Herrn C. Gaden & Klipsch, Bordeaux, den 8. Aug. 1848 / Am 29. Juli schrieb ich zuletzt und sandte Ihnen hol. f. [holländische Florin (Gulden)] 2400 in drei Stücken zu bester Verwechselung. – Auch gab ich ergebenst Auftrag auf 48 bis 50 Oxhofte Wein zur Verladung über die Weser oder Elbe. Seit ein paar Tagen ist indessen die Blockade der benannten beiden Flüsse und der Jahde [alter Name der Leine] bekannt geworden, anfangend vom 15. des Monats. Bei Empfange des Gegenwärtigen sind Sie schon mit demselben Verhältnisse bekannt geworden. Solches veranlaßt mich, meinen Auftrag vorläufig wieder zurückzurufen, wenn nicht, statt über die Elbe oder Weser, die Ausführung durch sich darbietende Gelegenheit auf die Ems, bewirkt werden kann. Diese wird sich so bald wohl nicht zeigen und es wird deshalb Zeit haben, die Umstände abzuwarten und weiter darüber zu schreiben. – Bei einer Verladung auf die Ems werde die Vorsicht zu gebrauchen sein, Ladungspapiere auf einen Holländischen Hafen an der Ems, etwa Delfzijl, auszustellen. – Vielleicht kann selbst die Verschiffung von fremden Häfen über hier und Emden nach Bremen und Hamburg im Gange bleiben, da die Küstenschifffahrt dahin seither nicht durch die Dänen gestört worden ist. – Freundschaftlich ergeben Chr. Börner
04/17 Lörrach 1819
vom hohen Norden in den Süden: bei diesem Brief handelt es sich ebenfalls um ein Beispiel der deutscher Kurrentschrift. Sie war seit Beginn der Neuzeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die allgemeine Verkehrsschrift im gesamten deutschen Sprachraum. Zwischen Lörrach und Leonberg gab es zu jener Zeit eine Grenze zwischen den Königreichen Baden und Württemberg. Im Allgemeinen war Deutschland in zahlreiche Kleinstaaten unterteilt. Anhand des roten Rayon-Stempels von Lörrach lässt sich ableiten in welchem Rayon (Postgebiet) der Brief befördert wurde. Das Reichspostterritorium war in 4 Rayons eingeteilt, die Linien liefen von Nord nach Süd. Für die Reise ins Ausland benötigte die Dame einen kleinen Vorschuss:
Transkription: Koeniglich Hochloebliches Ober-Amt! / Ich die rechtmäßige Tochter des jüngst zu Leonberg verstorbenen Mezgermeisters Chrisph. Besserer, habe noch zu Lebens Zeiten meiner beÿden Eltern, von meinem erstarrten Liedlohn [Botenlohn, Dienstbotenlohn] denenselben von Zeit zu Zeit etwas an Geld zu ihrer Unterstützung vorgeschoßen, und über diesen Vorschuß, der sich nach und nach auf 100 Gulden belief, wurde mir von meinen verstorbenen Eltern ein Schuldschein mit dem festen Willen derselben ausgestellt, daß nach ihrem Tode mir die angezeigten 100 Gulden zum voraus wieder an mich, und zwar von der Verlaßenschaft derselben, sollen gezahlt werden.
Da nun die Vermögens-Umstände mir nicht wohl gestatten, daß ich mir Reise nach Hause unternehmen könnte, so bitte ich ein Hochlöbliches Königliches Oberamt unterthänigst sich meiner dahin anzunehmen, daß mir dasjenige, worüber mir legalisierte Abschrift anliegt, so zukommen möchte, wie es der ernste Willen der verstorbenen Eltern war.
Eines Königlichen Hochlöblichen Oberamts erstirbt mit unterthänigem Respect Regina Margaretha Beßererin gebürtig von Leonberg, Lörrach den 5ten März 1819
03/17 Otto Mueller (Expressionist) 1918
Kurz vor dem Ende des 1. Weltkrieges sandte der Expressionist Otto Mueller diesen Feldpostbrief an die Adresse des Förderers Johannes Geller. Anhand des Briefstempels lässt sich ablesen, dass er mit seinem Bataillon in Wesel nahe der holländischen Grenze stationiert war. Neuss war nicht weit davon entfernt und Johannes Geller’s Haus wurde für freundschaftliche Besuche genutzt. Mueller befand sich seit dem Jahre 1915 im Kriegsdienst, seine Arbeiten als Künstler waren dementsprechend schwierig zu bewerkstelligen. Das Ende des Krieges lag nah und die Hoffnung auf bessere Zeiten wurde immer größer. Eines von zahlreichen interessanten Schriftstücken, die sich im Teilnachlass Johannes Geller im Stadtarchiv Neuss befinden: anschauen lohnt sich!
Transkription: den 16. Januar 1918 / Lieber Herr Dr. Geller. Ihren werten Brief vom 6. Januar hatte ich erhalten und auch die letzte Sendung Geld 100 Mark. – Was Sie mir mitteilen über das Blatt Kunst für Alle ist natürlich ärgerlich, aber ich räche mich indem sie nichts mehr von mir bekommen. – Der Herr, der über (mich) schreiben will ist ein Kunsthistoriker Dr. Heise [Carl Georg Heise, 1890-1979] in Hamburg, er ist für mich sehr eingenommen und hat eine Litho gekauft und schrieb, daß er ein Bild noch erwerben will. Also ist es sicher, daß er mir nicht schaden würde -. Auch das Blatt von Paul Westheim will Photos um (im) Heft Abbildungen zu bringen. Ich habe eine Menge nach Bildern von mir schon machen lassen, die gut gelungen sind. Ich sende Ihnen dieselben zur Ansicht zu. Freuen würde es mich, wenn Sie mir einen Abzug von dem Bild Die Badenden schicken könnten -. Mir geht es leidlich und arbeite soviel ich kann in meinen freien Stunden – denn Dienst ist trotz Waffenstillstand immer noch.
Welche Erlösung, wenn Frieden würde – herzlichen Gruß Ihr sehr ergebener Otto Mueller
02/17 Wiesbaden 1760
Bei Schriftstücken, deren Entstehung länger als 250 Jahre zurückliegt, ist es nicht immer ganz einfach, den genauen Wortlaut auf Anhieb nachvollziehen zu können, ein wenig Recherche kann hier durchaus mal vorkommen. Die Schriftarten können sich vermischen und die lateinische Antiqua wird für gewisse Abkürzungen verwendet, was bei diesem Schriftstück auf Seite 3 zu erkennen ist. Auch das @ Zeichen ist nicht erst seit Erfindung des Internets im Gebrauch. Es gibt mehrere Ansätze für die Herkunft. Die meisten Theorien gehen von einer Ligatur aus, z. B. der Verschmelzung von a und d des lateinischen Wortes ad. In diesem Falle wurde es als Zeichen für contra verwendet. Diese Verwendungsform lässt sich auch in den Akten des Reichskammergerichts aus dem 18. Jahrhundert wiederfinden.
Inhaltlich geht es um das Zehende (Zehnte), was nichts Anderes bedeutet als eine in etwa zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche oder weltliche Institution.
Transkription: Hochedelgeborner und Hochgelehrter Insonders Hochzuehrender Herr Regierungsrath / Euer Wohlgebrl. habe die Ehre die bisheer verhandelte acta @ die Eigenthümer der Dietenmühle pcto iuris decimandi beischlüssig hiermit zu presentiren, und gehorsamst zu melden, daß in dieser Sache, weil die Nicolaischen Erben derenthalben im Streit befangen gewesen, nicht angerufen sind das sonst erforderliche behandelt werden können. Dermalen bin aber versichert worden, daß Herr Rath Nicolai in Francfurt, welcher die Mühle eigenth in Anspruch genommen, kürzlich verstorben, und somit diese nach dem Ablauf gegenwärtig noch vorseiender Ferien gegen die übrigen Erben behörig könne betrieben werden. Vor der Hand ist nicht wohl etwas zu thun, weil die Herrn Räthe bis ietzt noch abwesend sind keine Seßiones gehalten werden. Ich bitte übrigens meinen Verzug mit dieser Antwort, da ich noch selbsten ein Curgast bin, nicht in Ungüte zu bemerken, und beharre in steter Verehrung. Euer Wohlgebrl. / Wiesbaden, den 30ten Juli 1760 / Gehorsamster Diener J. F. Siegfried
Antwort. Oberg. den 1. August 1760 / Nebst verbundenster Danksagung vor die Mittheilung rücksende hierbeÿ sämtliche Communicata, und bitte nochmalen inständig, die Hauptsache alsbald nach geendigter Ferien frisch wieder anzugreifen, und bis zur Definitiv-Erörterung unnachläßig zu betreiben: Sollte der Incident-Punct ratione Sequestri beÿ noch fürdauernder Abwesenheit einiger von denen dortigen Herrn Räthen nicht durchgesetzt werden können; So möchte doch vielleicht a præsentibus, wenigstens zur provisorischen annotation des dießjährigen Zehenden quæstione an hiesigen Schultheiß oder sonstige Behörde ein Befehl zu erlangen seÿn: Welches demnach nochmalen angelegentlichst empfehle, einen geseegneten Success der angefangenen Cur apprecire, mir die Ehre einer persönliche Besprechung annoch vorbehalte, und bis dahin, wie jederzeit mit besonderer Distinction beharre, Ew. etc.
01/17 Pasewalk 1832
Der Warenhandel dürfte einer der Haupterzeuger unzähliger Schreiben gewesen sein, welche im Laufe der Jahrzehnte per Postkutsche, Schiff oder Eisenbahn in entfernte Regionen auf den Weg geschickt wurden. Die Kornkammern Deutschlands waren damals schon für Ihre Güte und Ergiebigkeit bekannt. Kurz vor 1832 hatte Frankreich erhebliche Ernteeinbußen zu verzeichnen. Zahlreiche Schiffe verließen Stettin, Hamburg oder andere Häfen deutscher Staaten, gefüllt mit Getreide und anderen Gütern. Im Gegenzug gab’s wie hier z. B. besten, feinsten Rotwein aus Bordeaux:
Transkription: Herrn Schröder, Schÿler & Co in Bordeaux / Pasewalk, den 18ten Januar 1832 / Hiermit bezwecken wir die ergebene Anfrage, ob Sie geneigt sind 200 Liter besten feinsten dortigen Savoy frei im Schiffe uns anzustellen, oder für a/R. anzukaufen; im letztern Falle würden wir Sie bitten zur Übersicht der Spesen Ihre gefällige Antwort mit einer Conto finto zu begleiten. – Wie Sie es in Hinsicht des Rembourles gehalten zu haben wünschen; ob wir Ihnen auf Paris oder Hamburg accredetiren sollen, bleiben wir von Ihnen erwartend. – Über unsere Solidité werden Sie bei gefälliger Erkundigung in Stettin die genügenste Auskunft erhalten; außerdem berufen wir uns auf jedes hiesiges solides Haus und werden auch Herr Keibel in Berlin, Herr Carl Gottl. Franz in Berlin, Herren Winckler, Dürfeldt & Co in Hamburg und Herren Sillem & Co in Hamburg Auskunft über unsere Solidité ertheilen können. – Wir schmeicheln uns mit der Hoffnung, bei billiger, prompter und reeller Bedienung Ihrerseits uns noch oft veranlaßt zu finden Ihnen in diesem Jahre Aufträge zu ertheilen, rechnen aber bei Ertheilung eines Auftrags; daß Sie uns eben so behandeln wie Sie Herren Müller & Lübcke, Simon & Co in Stettin bedienen. – Ihre geneigte Antwort entgegensehend empfehlen sich Ihnen hochachtungsvoll – Eduard Franz & Wolber
Weizen 54 bis 60 g
Roggen 40 bis 44 g pr. Wispel von 25 Berliner Scheffel
Gerste 30 bis 32 g
Hafer 20 bis 22 g pr. Wispel von 26 Berliner Scheffel
12/16 Rudolf Eucken (Jena, 1916)
Rudolf Eucken, ein über die Grenzen Deutschlands bekannter Philosoph, wurde am 5. Januar 1846 in Aurich (Ostfriesland) geboren und verbrachte einen Großteil seines Lebens in der Universitätsstadt Jena. Man möchte nicht wissen, wie viele solcher Ganzsachen sein Haus im Laufe der Zeit verließen. Anfragen wie diese dürfte es zur Genüge gegeben haben. Die Ganzsache, in Österreich als Korrepondenz-Karte betitelt, war in der damaligen Zeit das Kommunikationsmedium schlechthin. Man zeigte sich durch diese an, verabredete sich auf persönliche Treffen, tauschte sich aus, auch in Zeiten der Briefzensur. Eine persönliche Note war in den meisten Fällen zu finden. Qualitativ gesehen steht sie einer Email in Nichts nach, ist ihr eventuell sogar in manchen Belangen etwas voraus… auch wenn es zeitlich gesehen einen Tick länger dauerte.
Transkription: Jena 15.8.1916 / Hochgeehrter Herr Doktor! Empfangen Sie meinen verbindlichsten Dank für die liebenswürdige Mitteilung Ihres sehr gehaltvollen und wichtigen Werkes über das Naturgesetz! Meines Wissens haben wir in keiner Literatur eine so gründliche und so erschöpfende Behandlung dieses wichtigen Gegenstandes. Ich selbst kann auch der Sprache nach Ihrer Darstellung völlig folgen, da ich, als Ostfriese, Holländisch sehr wohl lese und verstehe. Aber da leider die Kenntnis dieser reichen und gemütvollen, dabei in der Terminologie so selbständigen Sprache in Deutschland zu wenig verbreitet ist, so würde es sich empfehlen, daß Sie selbst in einer deutschen philosophischen oder allgemeinwissenschaftlichen Zeitschrift eine Übersicht über die Hauptergebnisse Ihrer Forschung gäben. – Wenn der meiner Geistigen Strömungen eine neue Auflage erscheinen sollte, so werde ich natürlich nicht unterlassen, auf Ihr Werk hinzuweisen, Haben Sie besten Dank auch dafür, daß Sie meines Buches so freundlich gedenken! Hochachtungsvoll Ihr ergebener R. Eucken
11/16 Marie von Bothmer (Berlin, 1937)
Häufig versteht man unter der Sütterlinschrift fälschlicherweise eine jahrhundertelang verwendete Schrifttype. In Preußen wurde die deutsche Sütterlinschrift erst 1915 eingeführt. Sie begann in den 1920er Jahren die deutsche Kurrentschrift abzulösen. Hier ein Beispiel in deutscher Kurrentschrift, die der Sütterlinschrift sehr ähnlich ist. Marie von Bothmer verfasste im Jahre 1937 eine Abschrift eines Schreibens von Bischof George Allen Bell an die Times in London. Grund dafür war, dass sie die Worte, die man im Ausland über die politische Situation im Deutschen Reich fand, weitergeben wollte. Als Mitglied der Bekennenden Kirche gab es schon seit 1934 einiges zu beklagen, allein der Arierparagraph gab Anlass genug. Wie das Ausland über die Verhaftung von Pfarrer Martin Niemöller berichtete, sei hier in Kürze dargestellt:
Transkription: Times – London 3. Juli 1937: Artikel von George Kennedy Allen Bell, Bishop of Chichester [enger Freund D. Bonhoeffers und Verbündeter der Bekennenden Kirche]
Verhaftung von Dr. Niemöller [im Original: „Arrest of D. Niemöller“]
An die Herausgeber der Times! Sir! Der Name Dr. Niemöller ist berühmt in der ganzen Christenheit. Die Nachricht von seiner Verhaftung wird hier und in allen Kirchen der Welt mit Bestürzung aufgenommen. Die Ankündigung der Gründe für seine Verhaftung unterstellt, daß er ein Agitator gegen den Staat sei. Was ist sein Verbrechen? Die Wahrheit ist, daß er das Evangelium ohne Furcht predigt. – Ich kenne Dr. Niemöller. Er ist ein Mann, den jeder Christ stolz sein würde, zu seinen Freunden zählen zu können. Ich habe nie einen prächtigeren, tapfereren Christen gesehen, noch jemanden, in dem das Licht des Glaubens leuchtender brennt. – Es gibt einen hohen deutschen Staatsmann, dessen Kinder Dr. Niemöller getauft hat. Wird der Vater daneben stehen, wenn der Lehrer seiner Kinder und der Glaube, den er sie gelehrt hat, unterdrückt wird? Es gibt andere hohe Staatsmänner, die oft die Predigt Dr. Niemöllers in der Dahlemer Kirche gehört haben; wollen sie daneben stehen, wenn das Christentum, an das sie glauben, in der Person seines Dieners angegriffen wird? Es ist eine kritische Stunde. Die Frage ist ja nur nicht die Frage des Einzelschicksals eines Dieners des Herrn, sondern es geht um die ganze Einstellung des deutschen Staates zum Christentum und zur christlichen Ethik, wenn da gestritten wird zwischen Recht und Gesetz auf der einen, und Gewaltherrschaft und Geheimjustiz auf der anderen Seite.
George Chichester [Kennedy Allen Bell] The Palace. Chichester, 2. July
Brief des Bischofs von Chichester an den Herausgeber der Times anläßlich der Verhaftung von Dr. Niemoeller.
10/16 Ernst Haeckel (Jena, 1894)
Ja, es dauerte zum Leidwesen der Schnabeltiere eine ganze Weile, bis der international geführte Wettlauf um die Frage: Wie pflanzt sich dieses Wesen fort? ein Ende fand. Die Erforschung der Schnabeltiere wurde aufgrund der Tatsache erschwert, dass sie sich nur äußerst schwer in menschlicher Gefangenschaft halten ließen. Hinzu kam, dass sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wegen ihres Felles gejagt wurden, eine rapide Dezimierung ihrer Art war die Folge. Ernst Haeckel, Zoologe, Philosoph und Freidenker, reagierte in diesem Schreiben wohl schon ein wenig säuerlich, schließlich wurde schon 5 Jahre zuvor veröffentlicht, was Sache ist. Unverkennbar eigen seine Handschrift…
Transkription: Jena 18.10.1894 / Geehrter Herr! Daß die beiden australischen Monotremen (oder Schnabelthiere) Eier legen, ist 1884 nachgewiesen und von mir auf S. 651 der 8. Auflage meiner „Natürlichen Schöpfung“ (1889) mitgetheilt worden. Näheres finden Sie auf S. 575 der 4. Auflage meiner „Anthropogenie“ (Leipzig 1891). Vergleiche auch m. „Monismus“ (Bonn, 6. Auflage 1893). – Hochachtungsvoll Ernst Haeckel
09/16 Gerhard Lapp (Präsident der Reichspostdirektion Hannover, 1945)
Im Jahre 1936 wurde Gerhard Lapp aus dem Postdienst entlassen, Grund hierfür war seine jüdische Herkunft. Es war dem studierten Rechtswissenschaftler somit ca. 9 Jahre lang verboten worden, seinen erlernten Beruf auszuüben. Es ist bewundernswert mit welcher Energie und Worten er sich mit diesem Schreiben an seine Mitarbeiter wendet, nachdem er 1945 zum Präsidenten der RPD Hannover ernannt wurde. Für seine Verdienste wurde ihm das große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen.
Transkription: Der Präsident der Reichspostdirektion / Hannover O, 8. Juni 1945
An die Sachgebiete und Ä [Ämter] / Noch heute!
Zum Präsidenten der (RPD) Hannover ernannt werde ich meine vornehmste Pflicht darin sehen, die Weisungen der englischen Militär-Regierung, denen wir Folge zu leisten haben, in Einklang zu bringen mit den postalischen Bedürfnissen der Bevölkerung und mit den Interessen der deutschen Postbeamten, -angestellten und -arbeitern. Diese an sich schon nicht leichte Aufgabe wird dadurch erschwert, daß die zahlreichen Mängel zu beseitigen sind, die in den letzten Jahren in allen Teilen unseres staatlichen Lebens und nicht zuletzt auch der DRP [Deutschen Reichspost] Eingang gefunden haben. – Die Schwierigkeiten, die vor uns liegen, sind riesengroß. Wir werden uns alle in vieler Hinsicht umzustellen haben und müssen uns schon jetzt darüber klar sein, daß sich Härten nicht werden vermeiden lassen. Eine Besserung ist nur erreichbar bei williger und hingebungsvoller Mitarbeit der gesamten Gefolgschaft. – Ich rufe alle zu dieser Mitarbeit auf, denn nur durch rastlose Arbeit kommen wir über die schweren Sorgen hinweg, die auf jedem von uns lasten, und nur durch rastlose Arbeit werden wir den Tiefstand unseres gesamten Lebens überwinden. – Dr. Lapp
08/16 Walter Kaesbach (Kunsthistoriker, 1920)
Zum Jahresende mache ich es mir besonders einfach. Um diesen Brief umzusetzen, bedarf es im eigentlichen Sinne keinen Transkripteur. Erwähnenswert ist zum einen, dass sich anhand dieser Schrift eine gedankliche Nähe zum Dichter Stefan George erahnen lässt, der angeblich auf Grundlage seiner Handschrift eine eigene Schrifttype entwickelte, serifenlos mit optisch gleichbleibender Strichstärke. Zum anderen spricht natürlich der Inhalt dieses Schreibens für sich. Erneut ein Brief, der an den Kunstförderer Johannes Geller gerichtet ist und dessen Korrespondenz sich im Stadtarchiv Neuss befindet.
Bleibt nur noch eins zu sagen: allen eine schöne und erholsame Ferienzeit.
Transkription: Dillborn, 27.12.1920 / Lieber Herr Geller, einen herzlichen Weihnachts- und Neujahrswunsch und Gruß zuvor! – Ich komme, von Freund Nauen veranlaßt, mit einer Bitte zu Ihnen als dem Leiter des Vereins, dessen Mitglied Herr Flemming-Hamburg [Kunstmäzen Max Leon Flemming] ist. Dieser hat dem russischen Maler Junker gesagt: „Nun sind ja auch die Bilder von Nolde in England gefunden.“ Näheres zu sagen hat aber Herr Flemming verweigert. Nolde fürchtet, er beabsichtige eine spekulative Ausbeutung seiner Kenntnis. – Ob Sie nun versuchen in Noldes und unser Aller Interesse den Herrn Flemming daran zu hindern, wenigstens zu bewirken, daß er sich beobachtet und geniert fühlt? Vielleicht ist der Herr weniger böse, als Nolde anzunehmen scheint und weigert er sich Ihnen gegenüber nicht zu sagen, was er erfahren hat. Damit dann Nolde, wie er beabsichtigt, nach England reisen und geeignete Schritte zur Wiedererlangung seines Eigentums unternehmen kann. Eben fällt mir ein – ich lege Noldes Brief bei, damit Sie ganz unterrichtet sind. – Ob Sie mir noch hierher schreiben, ob Sie geneigt sind Nolde zu helfen? Damit ich es ihn wissen lassen kann? Ich bleibe bis Freitag hier. – Zu Gott hoffe ich, Sie können es erreichen, daß Nauens unmögliche Ehe gänzlich aufgelöst wird. Der Arme kommt nie und nimmer zu der ihm so dringend nötigen Gemütsruhe, wenn diese Dornenfessel nicht von ihm genommen wird. Frau Nauen – die Bedauernswerte – ist ein Teufel. – Sie vielmals grüßend, Ihnen im voraus dankend, Ihr W. Kaesbach
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