Das neue Jahr beginnt mit einem Brief aus der interessanten Korrespondenz von Johannes Geller aus Neuss, der als Kunstmäzen und Initiator der Gesellschaft zur Förderung der Kunst des 20. Jahrhunderts nicht nur Kontakte zu etlichen Kunsthistorikern pflegte, sondern sich gerade in Zeiten des 1. Weltkriegs darum bemühte, die Verbindungen zu seinen Freunden und Künstlern nicht abreißen zu lassen, welche größtenteils als Soldaten im Einsatz waren. Heinrich Nauen machte in diesem Brief vom 04.12.1914 deutlich, wie er persönlich zum Thema „Krieg“ und den damaligen Verhältnissen stand, insbesondere hinsichtlich der Kunst. Der beigefügte Zeitungsartikel verdeutlicht das ganz gut. Seine Schrift scheint den Charakter glänzend widerzuspiegeln. Eine eigenwillige, fließende, nahezu malerische Handschrift, die Platz benötigt. Es ist eine schöne Begebenheit, dass die Korrespondenz von Johannes Geller im Jahre 2015 in den Räumlichkeiten des Stadtarchiv Neuss zusammengeführt werden konnte. Dies ist nur einer von zahlreichen Briefen Heinrich Nauens, die seinen Freund J. Geller zwischen 1913-1921 in Neuss erreichten.
Transkription:
Brüggen (Rheinland)/ Lieber Herr Geller. Der beiliegende Artikel wird Sie interessieren und ich freue mich, daß man auch jetzt schon anfängt keinen falschen Begriff des künstlerischen Schaffens aufkommen zu lassen, denn wehe, und Sie wissen was ich schon früher aussprach: ein sieghaftes Volk giebt den kleinen Gernegrößen ein zu bequemes Sprungbrett und ein warmes Bett falscher Deutschtümmelei. Was nun vorläufig zu thun nötig ist, ist alles andere wie Kunst, retten wir erst die Lebenswerte, die in unserem Volke stecken, denn das ist der einzige Boden darauf wir aufbauen können.
Ich reise am Samstag nach Rostock und stehe am Montag früh als Kriegsfreiwilliger auf dem Kasernenhof. Ein Zusammensein mit Ihnen hat sich leider nicht mehr ermöglichen lassen, vielleicht gelingt es vor meiner Abreise zur Front Urlaub zu erhalten und dann werde ich Sie sehen. Sie waren damals so liebenswürdig in der Angelegenheit mit Fl. [vertragliche Verbindlichkeiten mit dem Galeristen Alfred Flechtheim] meine Interessen in Händen zu nehmen und nun erhalten Sie auch noch das Übrige für den Fall, daß ich nicht zurückkomme. Ich lasse Ihnen die Papiere später von Rostock aus zukommen, ein paar Wochen frische Luft geben mir mehr Klarheit. Von Gosebruch [Kunsthistoriker Ernst Gosebruch] erhielt ich beiliegenden Brief. Mit seinem Vorschlag bin ich sehr zufrieden. Nur verstehe ich nicht, daß er die neuen Arbeiten dem älteren Bild von Fischer [Architekt und Kunstsammler Alfred Fischer] nicht den Vorzug giebt. Vielleicht hat er Recht, vielleicht war die Spannung meines Lebens der Arbeit nicht günstig.
Sie wissen wie schwer es mir fällt den Weg zu finden, der zu einer Befriedigung führt als Ausdruck meiner Kunst. Ich sehe nur, wie billig sich andere Künstler schonungslos über alles Zufällige hinwegsetzen und Anerkennung ernten für ihren Mangel an wirklichem Können. Originell sein in Halbwüchsigkeit ist keine Kunst, das verstehen primitive Menschen und vor allem Kinder noch besser. Aber sehen Sie, Gosebruch spricht mit keinem Wort von dem Bildnis was ich von Heckel [Künstler Erich Heckel] gemalt habe, und vielleicht, oder besser gesagt, ist dieses Bild viel wertvoller als was er sonst von jungen Künstlern in seiner Galerie hat. Glauben Sie mir, eine spätere Zeit wird alles fortwischen was keine Kraft in sich hat und Kraft hat nur etwas was vollendet in sich ist. Wenn man Mangel an Gefühl durch Rohheit hinstreicht ist das gewiß sehr originell, und ich bin dann immer erstaunt, wie anspruchslos wir der Kunst gegenüber geworden sind.
Bitte schreiben Sie mir ein Wort, wenn Sie in Essen gewesen sind. Meine Adresse: Frau von Malackowski, Rostock, St. Georgstaße 107. Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus, Ihr ergebener H. Nauen